Externe Innovation-Labs – eine Erfolgsgeschichte?

Meine Antwort: Nein!

Berlin Kreuzberg, wir treten in die Backsteinhalle ein, eine alte Fabrik aus der industriellen Revolution, Industrie 1.0. Überall finden sich coole Möbel und die Mitarbeiter arbeiten in Gruppen, allein oder zu zweit an den Themen der Zukunftsentwicklung der Firma.

Da sind Produktmanager zusammen mit Designern und Influencern, die eng mit der Stammorganisation in Ostwestfalen oder Niederbayern, Hessen oder im Ruhrgebiet zusammenarbeiten, um das nächste, beste neue Geschäftsmodell zu entwickeln und die Stammorganisation auf einen neuen Level zu heben.

Zur Abwechslung wird Tischtennis gespielt oder auf der Konsole FiFa 19 gezockt.

Traum AUS!

Natürlich ist das nicht die Wirklichkeit, die sieht anders aus.

Meine Überzeugung ist, dass in einem Unternehmen, dass nicht originär Berlin sitzt, eine Innovationsabteilung in Berlin keinen Mehrwert leistet, allenfalls Neid und Ablehnung schürt bis hin zur subversiv oder offenen Opposition der Stammorganisation.

Warum ist das so?

Die Stammorganisation schafft in der Regel in ihrem angestammten Geschäftsmodell Werte durch eine hohe Produktivität, gute Auslastung, Aufnahme von Verbesserungen in den Prozessen und durch gelebte Kultur, die das alles unterstützt. Egal welche Beispiele und Branchen wir aus der Industrie 1.0 oder 2.0 heranziehen, alle laufen derzeit positiv und hoch-effizient und zumindest rentabel.

Viele Unternehmen fühlen sich aber under attac von neuen Marktteilnehmern, deren Funktion und deren Vorgehensweise sie (vermeintlich) nicht mit den bekannten Mitteln begegnen können. Dieses „schlechte“ Gefühl der Machtlosigkeit gegenüber einem Wettbewerber führt zum Reflex „Wir schlagen die Wettbewerber mit ihren eigenen Waffen“!

Die eigenen Waffen sind in erster Linie die allseits bekannten Buzz Words, angefangen bei SCRUM über Agile bis zu digitale Transformation und andere Dinge, die man sich von den neuen Wettbewerbern abschaut. Auch die Tischtennisplatten gehören dazu.

Da oft in der Nähe der Stammorganisation keine wirklicher Veränderungswille wahrgenommen wird, ist der leichte Ausweichweg das externe Lab in Berlin. Das tut nicht weh und ist vermeintlich vollkommen ungefährlich für die Organisation.

Und hier liegt der Fehler!

Ich kann ein Unternehmen nicht von außen durch Organisationseinheiten ohne Vernetzung in die Stammorganisation verändern. Externe Labs scheitern an den folgenden Kriterien in der Umsetzung, die nicht auflösbar, weil immanent sind:

Drei Kriterien gegen das externe Lab

  • Räumlich Distanz zur Stammorganisation

Ein Lab nur in der gleichen Stadt oder gleich in Berlin ist immer einen Standort außerhalb. Außerhalb heißt dann auch außerhalb der Organisation. Der Mitarbeiter kann eben nicht einfach mal schnell vorbeigehen und schauen, was wird denn da so gemacht. Dieser fehlende geographische Bezug ist das erste Kriterium für einen Erfolg oder Misserfolg einer Innovations- und Veränderungsorganisation.

Die Mitarbeiter der Stammorganisation sind Gewohnheitstiere, wie eigentlich jeder, der sich in seiner Umgebung wohlfühlt und sich für seine Arbeit eingerichtet hat.

Um die da in Berlin oder nur um die Ecke in der nächsten Straße zu erreichen, muss ich mich auf den Weg machen. Auf den Weg machen impliziert das Verlassen der eigenen Komfortzone und den Willen, etwas zu entdecken. Hier ist eine Hürde, die für einige Mitarbeiter unüberwindbar erscheint, andere werden durch die Organisation abgehalten, bekommen keine Zeit dafür bereitgestellt oder sind letztlich nur bequem.

Ist die neue Innovations- und Veränderungsorganisation im gleichen Gebäude, laufen die „Verrückten“ von dort auch bei mir über den Flur und die Mitarbeiter können diesen nicht aus dem Weg gehen. Das ist ein kleiner, sehr bedeutender Unterschied.

Die Erfahrungen der Stammorganisation mit der Innovations- und Veränderungsorganisation sind viel konkreter, wenn die Menschen dahinter dauerhaft und leicht erlebbar sind. Und doch ist es keine Garantie für das Gelingen, denn es bedarf weiterer Punkte.

  • Mitarbeiter in der Innovations- und Veränderungsorganisation

Externe, aber zum Teil auch interne Innovations- und Veränderungsorganisation werden meist so gestafft, dass dort neue und externe Mitarbeiter gesucht und gefunden werden, die mit Ihrem Skill-Set genau zu den beschriebenen Aufgaben passen.

In jedem Innovation Lab findet sich aus diesem Grund dann auch mindestens ein oder zwei UX/UI Designer, Agile Coaches, Scrum-Master und andere Mitarbeiter, die sich mit ihren Fähigkeiten in anderen Unternehmen bewährt haben.

Diesen Mitarbeitern fehlt oftmals (Ausnahmen bestätigen sicher die Regel) jede Bindung zum Unternehmen, alle klassischen Netzwerke, kulturelle Prägung des Unternehmens und zusätzlich sehr oft das Verständnis für das aktuelle Geschäftsmodell. Das hilft nicht!

In einer interne Innovations- und Veränderungsorganisation sollte ein Inspirator gefunden werden, dass Thema treibt und im Idealfall auch nicht zum Unternehmen gehört. Mit einem entsprechenden Track Record im Thema Innovationen und Veränderung wirkt er authentisch und kann frei von Vergangenheit im Unternehmen vorangehen und visionär denken.

Die weiteren Mitarbeiter in der Innovations- und Veränderungsorganisation hingegen stammen dann aus dem Unternehmen selbst. Hier ist die Herausforderung, die Richtigen zu finden. Progressive aufgeschlossenen Mitarbeiter sollten sich von ungewöhnlichen Stellenausschreibungen angezogen fühlen. Change Pilot, Deep Dive Xpert, Unkonventional Thinker sind Titel für Stellen, die im Kern den Wandel und die Innovation treiben können. Im Prozess entstehen genug Fragen zum Titel und zum Auftrag, allein das Interesse an den Inhalten ist Indiz genug, um einen Mitarbeiter für die Organisation zu finden.

Mit diesen Mitarbeitern bekommt die interne Innovations- und Veränderungsorganisation ein großes Netzwerk innerhalb der Stammorganisation direkt frei Haus mitgeliefert. Auf nahezu jede Frage, die sich stellt, kann entweder der Mitarbeiter oder aber mindestens sein reichhaltiges Netzwerk eine Antwort geben.

Weitere Effekt, alle Mitarbeiter besitzen zunächst erstmal das Vertrauen ihrer ehemaligen Kollegen. Damit besteht eine Verbindung auf persönlicher und emotionaler Ebene.

  • Kulturelle Differenzen akzeptieren und nutzen

Zwischen der Stammorganisation und der Innovations- und Veränderungsorganisation besteht ein mehr als natürlicher Unterschied in der Form der Arbeit und der Unternehmens- und Führungskultur. Dieser Unterschied kann nicht überwunden werden und in der Stammorganisation positiv beeinflusst werden, wenn die Innovations- und Veränderungsorganisation in Berlin oder schon 3 km entfernt sitzt. Die Mitarbeiter müssen immer wieder in Kontakt kommen, damit es nicht heißt: „Die da in Berlin (oder sonstwo)“.

Die neuen Einheiten sind Fremdkörper und provozieren Flurfunk (mein schönster Begriff für Klatsch und Tratsch im Unternehmen). Ursachen hierfür sind oft nicht erkennbare Mehrwerte für die Stammorganisation, fehlender Einblick in das, was dort gearbeitet wird und das vielfach schnell vorhandene Vorurteil, die schaffen sich ihre eigene Umgebung und Wirklichkeit.

Diese kulturellen Unterschiede können nicht vermieden werden, sie sind gewollt und mitunter auch Teil und Ziel des Prozesses. Hier hilft eine direkt eingebundene und mit eigenen Mitarbeitern gestaffte Innovations- und Veränderungsorganisation, denn diese kann immer wieder als Informationsfläche für alle Mitarbeiter der Stammorganisation dienen, bei und auf der diese erfahren, was passiert und wie sie selbst am Prozess teilnehmen können. Eine langsame aber stetige Aufnahme der kulturellen Veränderung ist dann eine Art Graswurzelbewegung, die sich im Unternehmen ausbreiten kann.

Wesentlich können dazu Teams beitragen, die für einen Zeitraum an Themen der Innovations- und Veränderungsorganisation mitarbeiten und damit lernen, wie sich die veränderte Arbeitskultur auswirkt.

Checkboxen für die Entwicklung von Innovations- und Veränderungsorganisation

  • Innovations- und Veränderungsorganisation direkt im Stammhaus lokal neben oder in der Organisation ansiedeln
  • Mitarbeiter überwiegend intern akquirieren
  • Kulturelle Unterschiede akzeptieren und nutzen, um die Mitarbeiter mitzunehmen

Weitere Schritte für eine Implementierung

  • Top Management Entscheidung und Alignement zum Aufbau
  • Inspirator finden und mit entsprechenden Befugnissen ausstatten
  • Mitarbeiter für Innovations- und Veränderungsorganisation begeistern
  • Guerilla-Marketing starten – Aufbrechen von kulturellen Unterschieden
  • Interne Influencer Kommunikation aufbauen