Womit geht es 2018 in der Versicherungbranche in Deutschland weiter? Drei Herausforderungen, die über die Geschäftsmodelle der Zukunft entscheiden

Disruption, Buzzword und Schreckgespenst der etablierten Versicherungen ist 2017 allgegenwärtig. Auf jeder Konferenz konnte man Diskussionen über Insurtechs und Ihren Verdiensten für die Branche folgen, nicht aus dem Weg gehen.

In den etablierten Versicherungen werden agile Arbeitsweisen und eigene Labs/Innovationteams aufgebaut. Diese Handlungen können ungelenk oder symptomatisch wirken, einige sind gut durchdacht und auf eine Strategie ausgerichtet. Damit ist der Versuch gestartet, den „Aggressor“ oder Partner, wie ich meine, zu kopieren oder zu adaptieren und besser mit ihm kooperieren zu können.

Der Markt hat Herausforderungen, die nicht an den neuen Unternehmen hängen, sondern an Kunden und Marktumfeld und durch die insurtechs ins Rampenlicht gerückt werden:

  1. Der Kunden ist informiert und entscheidet viel mehr als früher selbst, auch wenn er nach wie vor Beratung bei komplexen Versicherung wünscht
  2. Prozesse müssen in adäquater Geschwindigkeit digital umgebaut werden
  3. Der Kunde will nach wie vor „Sicherheit in der Geldanlage“
  4. Fazit

1. Der Kunden ist informiert und entscheidet viel mehr als früher selbst, auch wenn er nach wie vor Beratung bei komplexen Versicherung wünscht

Die Herausforderungen des Marktes werden in Deutschland (leider) ganz überwiegend auf der Vermittlungsseite (Vertriebe jeder Art) durch die Regulatorik und den Verbraucherschutz bestimmt.

Mehr Rechte, mehr Informationen und besser Dokumentation sind in Europa und in Deutschland nicht immer mit Augenmaß eingefordert oder aufgebaut worden. Trotzdem informiert sich der Kunde und entscheidet immer häufiger ohne den Vermittler und online über seine Versicherungsangelegenheiten. Die Kehrseite der Medaille ist die Überforderung der Kunden im Entscheidungsprozess.

Eine Haftpflichtversicherung ist natürlich über den Preis und die wenigen Produktmerkmale sehr vergleichbar, aber schon bei einer Wohngebäude- oder Hausratversicherung entstehen Deckungsfragen, die für einen Versicherungslaien oft nicht vergleichbar/nachvollziehbar sind.

Die Leistung des klassischen Vermittlers wird abnehmen und die Aufgaben eines Beraters werden zunehmen. Der klassische Ein-Firmen-Vertreter hat gerade in nicht-urbanen Regionen die persönliche und direkte Kundenbeziehung, ein großer Hebel und Wettbewerbsvorteil, kann aber aufgrund der Markenbindung nicht frei entscheiden. Der Makler könnte sich leichter zu einem (echten) Berater entwickeln. Beiden Beratern steht der wachsende Onlinemarkt gegenüber.

Hier greifen die Insurtechs in Form von Kundenmanagern an. Die großen Vergleiche (check24, verivox etc.) sind etabliert, Hebel ist der Preis, nicht unbedingt der Kunde und die langfristige Bindung. Einige Insurtechs fokussieren ausschließlich auf die Kundenbedürfnisse und Kundenbindung. Diese greifen immer mehr Kunden von den etablierten Versicherern ab.

Der Kunden will vom Berater beraten und betreut werden, wenn er Vertrauen gefasst hat. Allerdings ist der Kunde mittlerweile so mündig, dass er echten Service verlangt, der mehr als nur die Neueindeckung ist. Kundenmanager werden die neue „erste Säule“ in den Finanzmärkten. Es entstehen Portale, Unternehmen etc. die den Kunden ernst nehmen und ihn in den Mittelpunkt stellen. Hierzu werden die Etablierten dann entweder durch eigene Kundenportale ebenfalls „gezwungen“ oder die Relevanz im Markt leidet massiv. Weitere Säulen sind die (Erst-) Voll-Versicherer (schrumpfend) und die Rückversicherer, siehe Grafik. Kundenmanager (weiß) nehmen mehr Erstversicherergeschäft (gelb), ebenso wie Rückversicherer (grün) zu Partnern der Kundenmanager werden.

Der Vermittler muss Gesprächsanlässe schaffen und sich vor allem mit einem digitalen Service im Geschäft etablieren.

Die kleinen (und jungen) Agenturen stellen konsequent um und werden zu volldigitalen Plattformen, angefangen von Videotelefonie über CRM System bis zur Schadenabwicklung.

Beispiele zeigen, das Einzelagenturisten Ihre technische Basis so optimiert haben, dass Vertragsanpassungen und Abschlüsse über Kurznachrichten (SMS, Whatsapp) vom Kunden bestätigt werden. Der digitale Umbau der Agenturen, egal welcher Größe hängt vom Management der Mitarbeiter ab; nur wenn alle auf den Weg mitgehen wollen, kann der Umbau gelingen. Der Agenturinhaber hat hier seine größte Herausforderung.

2. Prozesse werden nicht in adäquater Geschwindigkeit digital umgebaut

Künstliche Intelligenz und machine learning bieten Möglichkeiten der Beschleunigung der Prozesse. Digitalisierung darf nicht eine Worthülse bleiben, sondern die Prozesse müssen seamless, dunkel und schnell funktionieren. Einsatz von Software-Robotern ist heute der Standard in einfachen Prozessen, hier müssen alle etablierten Player am Markt auf- und/oder nachrüsten, um mit den Anforderungen der Kunden Schritt zu halten.

Adressänderungen, Bezugsrechte-Änderungen, einfache Änderungen am Vertrag sind heute digital abwickelbar. Schäden durch den Kunden aufnehmen zu lassen über Web-Apps, Video-Telefonie oder online ist der Standard des Jahres 2018 und wird von den neuen Kundenmanagern und Claims-Spezialisten dem Kunden angeboten werden.

Wenn ein Kunde beim Versicherer einen KfZ-Schaden (Haftpflicht) inkl. Hergangsbeschreibung online meldet und der Geschädigte den gleichen Schaden per Telefon wenig später meldet, kann es nicht sein, dass die Versicherung beim Kunden anruft, um sich nach dem Hergang zu erkundigen, weil die Informationen aus dem Onlineportal erst über Nacht aktualisiert werden. (Selbsterlebter Fall in 2017)

Kommunikation mit dem Kunden muss immer auf der Grundlage aller im System verfügbaren Informationen erfolgen, vollkommen unabhängig von der vorhergehenden Kommunikationsform. Der Kunden nimmt immer die Form der Kommunikation auf, die er in diesem Moment als die für ihn Einfachste wahrnimmt, also nach Chat, folgt ein Online-Formular oder ein Telefonat, aus welchem er Infos per Whatsapp wünscht. Er fragt sich bei großen Gesellschaften auch nicht, ob sein Anliegen in den Sachversicherungsbereich oder in die Lebensversicherung gehört. Er kennt den Unterschied im Zweifel nicht. Die Gesellschaft muss sich so aufzustellen, dass seine Frage beantwortet werden kann. Hier bieten heute schon Plattformen Lösungen, die solches seamless processing ermöglichen.

Auch der Berater verlangt zukünftig umfassendere schnellere und vollständige Information über sein Geschäft bei der Gesellschaft. CRM-Systeme, Schadenmanagement, Kapitalanlage, alles muss in Echtzeit und on demand vorliegen, um die Beratung des Kunden zu gewährleisten. Auch von der technischen Plattform darf die Nutzung der Daten nicht mehr abhängen, iPad oder Android-Tablet, genau so wie Webseite oder Smartphone APP, Verfügbarkeit im Rahmen der Möglichkeiten des Endgerätes ist Anforderung der Vermittler.

Das der Kunden in seinem Endnutzerkundenportal mehr Informationen als der Berater in Ihrem CRM haben ist äußerst unangenehm in der Beratung und darf auf keinen Fall bestehen (bleiben).

Schlüssel zum Erfolg bleiben Schnittstellen und dahinter liegenden Verwaltungssysteme, die sich als „Enabler“ präsentieren müssen und entsprechend umgebaut, neu aufgebaut oder erweitert werden müssen. API und die vollständige, jederzeitige Verfügbarkeit von Informationen ist kein schützenswerter Gegenstand der Versicherungsgesellschaft allein, sondern wird immer mehr zum „Allgemeingut“, zumindest aber zum Verfügungsgegenstand des Kunden.

Die neuen Player am Markt, die im Bereich der Sachversicherung im letzten Jahr BAFin-Lizenzen erhalten haben, haben hier den Vorteil der fehlenden (Alt-) Bestandssysteme und können diese „from the scratch“ aufbauen. Sie fokussieren genau auf die oben genannten Punkte, auch auf den neuen Typ von Vermittler, der sich digital aufstellt. Die Etablierten müssen hier kooperieren, kaufen und implementieren, um state of the art mit Kunden und Berater zu kommunizieren.

3. Der Kunde will nach wie vor „Sicherheit in der Geldanlage“

Trotz der sicher schon tausendfach debattierten und bis zu Bildzeitung hin mit Schlagzeilen versehenen Situation, dass für sichere Anlagen derzeit keinen Zinsen zu erwirtschaften sind, erwarten Kunden immer noch Sicherheit und Garantien für Ihre Geldanlagen.

Eine umfängliche Diskussion sprengt den Umfang des Artikels, der Punkt gehört aber zu den Herausforderungen des Jahres 2018.

Der Kunden wünscht sich heute, vermutlich aus einer früheren Zeit tradiert, dass seine Geldanlagen, insbesondere in der (Lebens-) Renten-Versicherung sichere Erträge bringen. Diese Erträge sollen zum überwiegenden Teil, oder vollständig garantiert sein.

Modell mit Sicherheitsmechanismen sind erprobt und seit Jahren im Kapitalanlagemarkt im Einsatz, aber vor die Wahl gestellt, greift der Kunden überwiegend zu den Garantien.

Es liegt nicht an der mangelnden Aufklärung durch die Medien und die Branche, sondern es sind emotionale Gründe, die aus den Zeiten vor der dot.com-Blase und der Finanzkrise 2008 ins Heute gerettet werden.

Auch die niedrigen, wenn nicht sogar niedrigsten Erträge schrecken den Anleger nicht, Garantien zu kaufen.

Hier sind Versicherer gefragt, mit dem Kunden in einen Dialog zu treten, um ein Umdenken zu begleiten und mehr Kunden in sicherer, nicht garantierte und gleichzeitig ertragreicherer Anlageformen zu bringen.

Unbestritten bleibt die Versorgungslücke und der Rückzug des Staates aus der Vorsorge, die durch den Kunden kreativ und lukrativ aufzufüllen ist.

4. Fazit

Die etablierten Versicherer haben begonnen, sich digital zu wandeln. Mir ist keiner der großen Versicherer bekannt, der die neuen Prozess vollständig und umfassend im Griff hat. Alle sind auf der Suche, auf dem Weg und bauen Ihre Landschaften (Systeme, Vermittler, Mitarbeiter usw.) um. Eine Herkulesaufgabe!

Marc Eichborn (auf Twitter, auf LinkedIn, auf xing)